Einfluss fertilitätsprotektiver Maßnahmen auf die Psyche junger Krebspatientinnen
Gekürzte Version des Artikels (erschienen 08/2018 in „ONKOLOGIE heute“, Mediengruppe Oberfranken Fachverlage GmbH & Co. KG)
A.Doster 1, S.Ditz, A.Germeyer
1 Universitätsfrauenklinik Heidelberg, Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen, Im Neuenheimer Feld 410, 69120 Heidelberg
Beinahe 10% der neu diagnostizierten Krebserkrankungen pro Jahr betreffen Frauen im reproduktiven Alter (1). Mit den stetig sich verbessernden Behandlungsoptionen und damit steigenden Überlebensraten, konfrontiert die Diagnose “Krebs” die junge Patientin auch mit den Auswirkungen der Therapie auf die physische und psychische Lebensqualität nach erfolgreicher Behandlung. So sind fast 25% der Überlebenden einer Krebserkrankung Frauen im reproduktiven Alter mit Kinderwunsch (1). Beeinflusst von multiplen Faktoren wie Alter der Patientin, deren reproduktive Anamnese, der Art der Tumorerkrankung und des Therapieregimes stehen jedoch eine verringerte ovarielle Reserve, die vorzeitige Menopause als ein Resultat gonadotoxischer Therapien oder gar die chirurgische Entfernung der für die Reproduktion notwendigen Organe dem Kinderwunsch Wunsch.
Bedeutung des Fertilitätserhalts
Das soziale, emotionale und sexuelle Wohlbefinden der Patientin wird durch den Wunsch nach einem eigenen Kind maßgeblich beeinflusst. So beschreiben nach einer Studie von Reh et al 2011, mehr als die Hälfte der befragten Patientinnen “ein Kind zu bekommen” als “das Wichtigste” in ihrem Leben. Der Verlust der Fertilität ist für 62% der Befragten eine der größten, wenn nicht die größte Sorge bei der Krebsbehandlung (2). Im Sinne eines “double hit”- Szenarios (3) wird der potentielle Verlust der Fertilität als beinahe ebenso belastend, wenn nicht noch belastender als die Diagnose an sich beschrieben (4) und geht einher mit massivem emotionalem Leid, Ängsten und mäßig bis schwerer depressiver Symptomatik. Vor allem junge, kinderlose Frauen sind von Depressionen betroffen (5).
Dies hat auch Auswirkungen auf die Wahl und die Dauer der Therapie. So konnten Ruddy et al 2014 zeigen, dass 0,6% der befragten jungen Patientinnen mit Brustkrebs aufgrund der Beeinträchtigung der Fertilität durch die Therapie sich gegen eine Chemotherapie entschieden, 1,9% ein Therapieregime bevorzugten, das weniger Auswirkungen auf die Fertilität hatte und 15,5% die endokrine Therapie entweder komplett verweigerten oder deutlich abkürzten (6). Umgekehrt wird die Möglichkeit nach erfolgreicher Tumorbehandlung Kinder bekommen zu können, da zuvor fertilitätserhaltende Maßnahmen durchgeführt wurden, als positive Unterstützung im Behandlungsprozess erlebt (7, 8). So beschreiben nach einer Studie von Treves et al 2014 78% der befragten Patientinnen, die Maßnahmen der Fertilitätsprotektion als “Lebensversicherung” sowie als Chance mit der Krebsdiagnose besser zurecht zukommen (4).
Die Bedeutung des Fertilitätserhalts ist daher unumstritten und in verschiedenen Guidelines und Stellungsnahmen auf internationaler Ebene (9, 10) verankert. In der deutschen S2k-Leitlinie “Fertilitätserhalt bei onkologischen Erkrankungen” vom September 2017 heißt es dazu “Konzepte zum Erhalt der Fertilität und die Beratung darüber, müssen integraler Bestandteil onkologischer Behandlungen von Präpubertären oder Patienten/-innen im reproduktiven Alter sein. Dies vor dem Hintergrund, dass inzwischen gute, etablierte fertilitätsprotektive Techniken existieren..“ (11).
Inanspruchnahme der Beratung
Gemessen an den erfolgsversprechenden Methoden der Fertiptotektion und den Empfehlungen sowohl der onkologischen als auch der reproduktionsmedizinischen Fachgesellschaften, ist die Anzahl der Frauen, die hinsichtlich fertilitätsprotektiver Methoden beraten werden, klein. So zeigt beispielsweise eine Studie von 2013 aus Deutschland dass nur 60% der Patientinnen Fertilität mit Ihren Onkologen thematisieren (12). Die Anzahl der zu einem auf den Fertilitätserhalt spezialisierten Zentrum überwiesenen Patientinnen ist mit 20-47% noch etwas niedriger (12, 13).
Dabei scheint gerade diese Beratung und der Weg der Entscheidungsfindung maßgeblich zur späteren Zufriedenheit und Lebensqualität beizutragen.
Einflussfaktoren der Entscheidungsfindung
Viele psychosoziale Faktoren beeinflussen die Entscheidungsfindung hinsichtlich einer fertilitätserhaltenden Therapie. Die Patientinnen befinden sich in einer Ausnahmesituation, sind mit den ersten Coping-Strategien Ihrer Tumor-Diagnose beschäftigt (14). Sie machen sich Sorgen hinsichtlich Mortalität, Rezidivrate, gegebenenfalls Ergebnissen weiterführender Untersuchungen, beispielsweise genetischer Testung, dem Einfluss der onkologischen Therapie auf ihr Körperbild, zukünftige Sexualität, Partnerschaft (15). Ein Drittel der jungen Patientinnen leidet unter erheblichen Ängsten oder depressiver Symptomatik, 14% nehmen Antidepressiva (6, 16, 17). Die nun folgende Auseinandersetzung mit dem potentiellen Verlust ihrer Fertilität wird nicht selten als “double hit” erlebt (3). Faktoren, wie Zeitdruck bezüglich der Entscheidungsfindung sowie hinsichtlich des gegebenenfalls verzögerten Beginns der onkologischen Therapie und die nicht unerheblichen Kosten, die bisher meist von den Patientinnen selbst getragen werden müssen, können diese Angst- und Depressionssymptomatik zudem noch aggravieren (14, 18, 19). Weitere Einflussfaktoren wie ethische oder religiöse Bedenken der Patientinnen die Kryokonservierung von Eizellen oder zukünftigem Verwerfen von Embryonen betreffend, seien der Vollständigkeit halber erwähnt (14).
Die Bedeutung der interdisziplinären Beratung
In dieser komplexen psychosozialen Situation ist eine ausführliche Beratung, das Aufzeigen von Therapiekonsequenzen aus onkologischer Sicht, sowie das Aufzeigen individueller reproduktionsmedizinischer Möglichkeiten die notwendige Voraussetzung zur suffizienten Entscheidungsfindung. Nach Brehaut et al zeichnet sich eine “high quality” Entscheidung durch suffiziente Information der Patientin aus, mit genügend Respekt und Raum für deren individuellen Einstellungen und Erfahrungen (20). Das Resultat einer „low quality“ Entscheidung: das “Bereuen”, “Bedauern” der Entscheidung hinsichtlich fertiprotektiver Maßnahmen gilt als einer der Schlüsselfaktoren für die Lebensqualität der jungen Patientin nach erfolgreicher Tumortherapie (21). Die Wichtigkeit der ausführlichen und individuellen Beratung mündlich und schriftlich ist daher unumstritten. So konnten Letourneau et al 2012 zeigen, dass die Frauen, die sowohl durch einen Onkologen als auch einen Reproduktionsmediziner beraten wurden, ihre Entscheidung hinsichtlich fertilitätserhaltender Maßnahmen, nach erfolgter onkologischer Therapie weniger in Frage stellten. Ebenso zeigten diese Frauen eine höhere Zufriedenheit mit ihrem Leben (22). Auch nach Benedict et al reduzierte eine Beratung mit einem Reproduktionsmediziner das Bereuen der getroffenen Entscheidung (23). In beiden Studien waren die Patientinnen, die sich einer fertilitätserhaltenden Therapie unterzogen hatten, am zufriedensten und hatten eine höhere Lebensqualität (8, 22).
Neueste Studien unterstreichen erneut den Faktor “Qualität” dieser Entscheidungsfindung. So scheinen Patientinnen, die sich gegen eine fertilitätserhaltende Therapie entschieden, weniger Zeit und mehr Druck ausgegesetzt gewesen zu sein, sodass keine qualitativ hochwertige Entscheidung getroffen werden konnte (24, 25). Nach Melo et al 2018, sollten gerade Patientinnen, die sich gegen fertilitätsprotektive Maßnahmen entscheiden, die Chance einer Entscheiungsfindung gegeben werden, die ohne Druck erfolgt und genug Raum und Zeit für die Möglichkeit der Diskussion, Reflexion eigener Werte und Einstellungen bietet (25). Dass dies im klinischen Alltag nicht in allen Situationen zu bewerkstelligen ist, versteht sich von selbst. Dennoch sollte im Hinblick auf die zukünftige Lebensqualität der Patientinnen ein enger Austausch zwischen Onkologie und Reproduktionsmedizin erfolgen, mit dem frühzeitigen Vorstellen im reproduktionsmedizinischen Zentrum. Ebenso könnte das zusätzliche Einbinden von Psychologen den Prozess des Copings mit der Diagnose und der Entscheidungsfindung hinsichtlich fertilitätsprotektiver Maßnahmen positiv unterstützen (15, 25). So könnten sowohl die fertilitätsprotektiven Maßnahmen an sich als auch schon der Prozess der Entscheidungsfindung vielleicht öfter, wie in einer Studie von Garvelink beschrieben, den Patientinnen “Hoffnung”, “einen Grund zu leben” und ein “gutes Gefühl” vermitteln und damit auch den Coping- und onkologischen Therapieprozess positiv begleiten und unterstützen (4, 8, 26).
Ein ausführliches Literaturverzeichnis kann bei A.Doster erfragt werden.
Dr. med. Anne Doster
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe
Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen
Universitätsfrauenklinik Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 410, 69120 Heidelberg
Anne.Doster@med.uni-heidelberg.de
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