Einige Worte zum 80. Geburtstag für Dr. med. Paul Franke
„Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, Daß Blüt und Frucht die künft ´gen Jahre zieren“ (Goethe, Faust I, V. 310-311)
Vor über 40 Jahren 1977 bin ich Paul Franke das erste Mal auf einer Psychotherapietagung in Friedrichroda begegnet, als er über Anfängerprobleme mit Psychotherapie in einer Frauenklinik referierte und mir aus dem Herzen sprach. Er war auf der Suche nach an der psychosomatischen Frauenheilkunde interessierten Kolleginnen und Kollegen. Seit dieser ersten Begegnung sind wir Gefährten und gemeinsam durch alle Stürme des Lebens gegangen, zunächst kollegial und dann freundschaftlich verbunden.
Paul Franke wurde am 3. Juni 1939, wenige Monate vor Kriegsausbruch in Schönebeck an der Elbe geboren, im gleichen Jahr, in dem Sigmund Freud in London in seinem Exil verstorben ist. Die Schulzeit schloss er 1957 in seiner Heimatstadt Schönebeck mit dem Abitur ab und begann sein Medizinstudium 1960 an der Medizinischen Akademie Magdeburg, das er nach einem Wechsel an die Martin-Luther-Universität Halle 1966 mit dem Staatsexamen beendete. Die Facharztausbildung zum Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe absolvierte er wiederum an der Medizinischen Akademie Magdeburg, promovierte zum Dr.med. mit dem Thema „Zur Frage der Geburtseinleitung bei verlängerter Tragzeit“ Es folgte die Stationsarzttätigkeit auf verschiedenen Stationen der Frauenklinik unter der wohlwollenden Förderung seines Chefs Prof. Dr. med. habil. Lindemann, der sich auch später als ein Unterstützer und Förderer seines psychotherapeutisch-psychosomatischen Werdegangs erwies. Etwa 1974 beginnt Paul Franke seine nebenberufliche psychotherapeutische Weiterbildung, in der er sich mit allen in der DDR möglichen Psychotherapieverfahren vertraut machte, wobei die Gruppenselbsterfahrung, zunächst als Teilnehmer und dann als Trainer, seine dynamisch-psychotherapeutische Ausrichtung und Haltung prägten.
Kurt Höck (1920-2008), Internist, die DDR-Psychotherapie-Szene prägender Psychotherapeut und Begründer der Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie schrieb 1973 im Auftrag des Leipziger Georg Thieme Verlages ein Büchlein zum Thema: „Psychotherapie in der modernen Gynäkologie“. Er, der immer wieder Gynäkologen ermutigte, sich für seelische Aspekte in ihrem Fach zu öffnen stimmte Paul Franke um, der auf dem besten Weg war, die Frauenheilkunde zu verlassen, um sich unter Gleichgesinnten voll der Psychotherapie zu widmen. „Herr Franke“, so Höck, „in der Frauenheilkunde werden Sie gebraucht, da gibt es in der DDR noch nichts.“ Hier ist es wohl zur „Empfängnis“ gekommen, denn von nun an identifizierte sich Paul Franke immer mehr mit dem psychosomatischen Projekt innerhalb der Frauenheilkunde und machte sich auf die Suche nach Mitstreitern.
Am 16. November 1979 traf sich auf Einladung Paul Frankes eine kleine Gruppe von leidenschaftlich an der Psychosomatik interessierter Frauenärzte in Magdeburg, um die „Arbeitsgemeinschaft für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe“ ins Leben zu rufen. Für DDR-Verhältnisse ein unerhörter und eigentlich unmöglicher, ja geradezu oppositioneller Vorgang, hatte sich doch hier eine nicht „von oben“ verordnete, wie sonst üblich, sondern „von unten“ ganz freiwillig und an der Sache interessierte und motivierte Kollegenschaft zusammengefunden. Diese zunächst sehr kleine Gruppe war in den folgenden Aufbaujahren sehr aktiv. Nach Innen durch eigene psychotherapeutische Qualifikationen und nach Außen mit Vorträgen und Fortbildungsseminaren. Von der „Muttergesellschaft“, der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe der DDR erfuhren die Gruppe zunächst kaum Beachtung, umso mehr durch die Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie, in der sie eine wahrlich nicht „stiefmütterliche“ Heimat fand, sondern wohlwollende Aufnahme und Förderung erfuhr.
Ein erster Höhepunkt war die von Paul Franke angeregte erste öffentliche und legendäre Tagung in Magdeburg im November 1984, auf der Christa Wolf als Festrednerin sprach. Die folgenden Tagungen durch einen Vortrag einer Schriftstellerin zu eröffnen wurde schöne Tradition. Die jüngeren Leser, können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was es bedeutet hat und mit welchen Schwierigkeiten es verbunden war, Christa Wolf, die einstige Vorzeigeliteratin der DDR, aber zu diesem Zeitpunkt schon lange wegen ihres Protestes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns beim Politbüro in Ungnade gefallen, auf so einer Tagung sprechen zu lassen. Es gehörte eine Portion Mut und Standfestigkeit dazu, dass sich Paul Franke nicht von diesem Vorhaben hat abbringen lassen. Freunde hatten ihm davon abgeraten, ja Christa Wolf selber hatte gewarnt, sie als Festrednerin einzuladen und sprechen zu lassen. Es ging hierbei nicht nur um Zweifel und Kritik an einer allein auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse ausgerichteten Medizin, sondern eben auch um implizite Kritik an den politischen Verhältnissen und eine damit auch verbundene öffentliche Positionierung.
Die Tagung war ein Durchbruch. Ein anspruchsvolles Ausbildungssystem wurde entwickelt und etabliert. Paul Franke ging es in erster Linie um die Vermittlung einer psychosomatisch- und beziehungsorientierten Haltung und weniger um Behandlungstechniken, so wichtig sie sind. Dabei waren ihm die themenzentrierten Auseinandersetzungen und Selbsterfahrungen (Sexualität, Schwangerschaftskonflikt, Körperliche Untersuchung, Leiden und Sterben u.a.) mit sich selbst, als Gradmesser für Verständnis und Umgang mit diesen Themen in der Patientenbegegnung zentral. Das kommt auch in seinen zahlreichen Buchbeiträgen und Vorträgen auf nationalen und internationalen Kongressen zum Ausdruck. Er war der erste Gynäkologe der DDR, der die Zweitfacharztprüfung zum Facharzt für Psychotherapie ablegte und 1981 den ersten Arbeitsbereich für Psychotherapie und Psychosomatik an der Frauenklinik der Medizinischen Akademie Magdeburg gründete.
Schon weit vor der Wende pflegte Paul Franke Kontakt mit Kollegen aus Westdeutschland, vor allem mit Hans-Joachim Prill. Einerseits die Einheit Deutschlands sehnsuchtsvoll erwartend, andererseits heftig im Widerstreit liegend mit den würdelosen „Vereinigungen“ medizinischer Fachgesellschaften, versuchte er dies für „seine“ Gesellschaft zu verhindern. „Wir müssen uns auseinandersetzten, wenn wir uns zusammensetzten wollen. Eine wirkliche Vereinigung, die ich möchte, kann erst beginnen, wenn wir die Unterschiede akzeptieren, ohne sie zu bewerten.“, so sein Grundsatz in dieser Frage. Eine Annäherung beider Gesellschaften auf Augenhöhe wurde möglich. Nicht zuletzt durch Paul Franke, der die Gruppe festigte und sich für ein selbstbestimmtes Auftreten in diesem Vereinigungsprozess stark machte. Die Zusammenarbeit wurde mit gemeinsamen Projekten (u.a. Lebensschutzgesetz, Ausbildungskurrikulum) durch einen Kooperationsvertrag intensiviert. In einer eindrucksvollen Mitgliederversammlung am 8. November 1996 in Eggersdorf gab Paul Franke, der den Verein gegründet und über 17 Jahre geleitet hatte, den Staffelstab an Carmen Dietrich weiter. Gleichzeitig beschloss die Versammlung nach intensiver Diskussion einstimmig der bisherigen Gesellschaft für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe das Wort „Ostdeutsch“ voranzustellen. Zusammengefasst wünschten die Teilnehmer unter Wahrung der Identität eine Namensänderung, um einerseits die historisch gewachsenen und regionalen Besonderheiten zu bewahren und andererseits jetzt zielstrebig die Vereinigung beider Gesellschaften zu befördern. Am Ende des Prozesses stand die Auflösung beider Fachgesellschaften mit dem Ziel, gemeinsam in einer neugegründeten Gesellschaft aufzugehen. Ein einmaliger würdevoller Vorgang im deutschen Einigungsprozess auf den die Mitglieder stolz sein können. Paul Franke war hier ein zwar kritischer aber wohlwollender Begleiter.
Auf Grund seiner großen Verdienste um die psychosomatische Gynäkologie erhielt er 1999 die Ehrenmedaille der Kath. Universität Leuven (Belgien), im Februar 2000 feierlich das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bunderepublik Deutschland und 2001 die Ehrenpräsidentschaft der DGPFG. Mit seinem Ausscheiden aus der Klinik und seiner Niederlassung 1993 als Psychotherapeut und Psychoanalytiker in Magdeburg verlagerten sich seine Arbeitsschwerpunkte mehr in Richtung berufs-, lehr- und fachpolitische Aktivitäten innerhalb der Psychotherapieszene. So gehörte er 1999 zu den Mitbegründern des Institutes für Psychoanalyse Magdeburg, dessen Ehrenmitglied er heute ist. Er ist Dozent, Lehr- und Kontrollanalytiker der DGPT und DPG. Inzwischen fließen sein Wissen, seine Lebenserfahrungen und seine Beobachtungsgabe ein in regelmäßig erscheinende Zeitungskolumnen über gesellschaftlich bedeutende Ereignisse.
All die hier bei weitem nicht vollständig benannten Aktivitäten und Entwicklungen, die Paul Franke begründet, angestoßen, gelehrt, gefördert und gelebt hat sind ohne das Wichtigste, seine Persönlichkeit nicht denkbar. In den vielen Jahren gemeinsamen Wirkens hat Paul Franke mich immer unterstützt und gefördert. Für ihn waren Fleiß, Zuverlässigkeit, Disziplin, Pflichtbewusstsein und Loyalität – das, was man die Sekundärtugenden nennt – keine Fremdwörter, sondern gelebte Wirklichkeit. Unsere Beziehung hat Differenzen, unterschiedliche Auffassungen und handfeste Auseinandersetzungen ausgehalten, konnten wir doch immer offen und direkt unsere Konflikte klären. Pauls Autorität bestand darin, als Leiter notwenige Gestaltungsmacht nicht für sich selbst, die Karriere, das Ansehen einzusetzen, sondern in erster Linie für die Sache, das psychosomatische Projekt und die Gemeinschaft.
Wir alle, der Vorstand, die Mitgliedschaft und ich haben Dir von Herzen zu danken. Wir gratulieren Dir zum 80. Geburtstag, wünschen Gesundheit, Lebenskraft und bleibende Kreativität und rufen Dir mit Fontane zu: „Kummer sei lahm! Sorge sei blind! Es lebe das Geburtstagskind!”
Zwickau im Juni 2019
Arndt Ludwig